Mittwoch, 27. April 2011

Wittgensteins Zwiebel

oder: Tractatus logico-bulbicus    
                                                                                                                                                    

Dieses Stück wird nur verstehen, wer die darin ausgedrückten Gedanken bereits selbst auf die eine oder andere Weise entschält hat. Es ist also kein Lehrstück. Wenn diese Arbeit einen Wert hat, so liegt dieser in Zwiebelei: Ich werde zeigen, dass damit im Wesentliche alle Probleme geschält sind. Darüber hinaus wird sich zeigen, wie wenig damit getan ist.






1           Die Zwiebel ist, was der Fall ist.

1.1.       Sie ist gekennzeichnet durch die Gesamtheit ihrer Tatsachen,
             nicht allein durch die sich in ihr befindlichen Schalen.

1.2.       Erst die Gesamtheit ihrer Tatsachen bestimmt, was die
             Zwiebel ist und was nicht.
1.2.1.    Das Nichts liegt außerhalb der Zwiebel.
1.2.2.    Es ist umgebender Teil der Zwiebel nur insofern,
             als dass es sie negativ umschließt.
1.2.3.    Darüber hinaus hat das Nichts hier nichts zu sagen.
             Ob es nichtet oder nicht, mögen andere beurteilen (Heidegger).

1.3.       Die Zwiebel zerfällt in Schalen, aber nicht nur.
             Sie ist die Gesamtheit der Schalen plus ihre
             Zwischenräume/ Hohlräume (ebenfalls Tatsachen)
1.3.1.    Eine Schale kann sein oder nicht sein
             & trotzdem ist die Zwiebel.




 
 
2           Was der Fall ist, die Zwiebel, ist das
             Bestehen von Sachverhalten.

2.1.       Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen
             (Schalen).
2.1.1.    In der Logik ist nichts zufällig.
             Wenn die Schale im Sachverhalt vorkommen kann,
             so ist die Möglichkeit des Sachverhaltes bereits
             in ihr präjudiziert.
2.1.2.    Um eine Schale zu kennen, muss ich zwar nicht
             alle ihre externen, aber ich muss ihre sämtlichen
             internen Eigenschaften kennen.
2.1.3.    Sind alle Schalen gegeben, so sind auch alle
             möglichen Sachverhalte gegeben.
(2.1.3.1. Es werden nie alle Schalen gegeben sein!)

2.2.       Die Schale ist einfach. (oder: Sie ist einfach)
2.2.1.    Die Schalen bilden die Substanz der Zwiebel.
2.2.2.    Die Substanz ist das, was unabhängig davon,
             was der Fall ist, besteht.
2.2.3.    Sie ist Form und Inhalt. (Raum, Zeit &
             Färbigkeit sind Formen)
2.2.4.    Die Konfiguration der Schale bildet den Sachverhalt.
2.2.5.    Die Gesamtheit der Sachverhalte ist die Zwiebel.
             Sie bestimmt, welche Sachverhalte nicht bestehen.
2.2.6.    Aus dem Bestehen eines Sachverhaltes kann
             aber nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen
             eines anderen Sachverhaltes geschlossen werden.
2.2.6.1. Die gesamte Wirklichkeit ist die Zwiebel.

2.3.       Wir machen uns Bilder der Wirklichkeit.
2.3.1.    Ein Bild ist ein Modell der Zwiebel.
2.3.2.    Den Schalen entsprechen im Bild die Elemente des Bildes.
2.3.3.    Die Elemente des Bildes vertreten die Schalen.

2.4.       Das Bild ist eine Tatsache.
2.4.1.    Die Form der Abbildung ist eine Möglichkeit,
             dass sich die Schalen so zueinander verhalten,
             wie die Elemente des Bildes.(Sie ist wie ein Maßstab
             an die Zwiebel angelegt & reicht bis zu ihr.)
2.4.2.    Die abbildende Beziehung besteht in der Zuordnung
             der Elemente des Bildes und der Schalen.
2.4.3.    Das Bild kann jede Zwiebel abbilden, deren Form es hat.
2.4.4.    Seine Form der Abbildung aber, kann das Bild nicht abbilden,
             es weist sie auf. (Die Form ist das "Zufallende" des Inhalts.)
2.4.5.    Das Bild kann sich nicht außerhalb seiner Form stellen.
2.4.5.1. Um ein Bild zu erkennen, müssen wir es mit
             einer Zwiebel vergleichen.
             (Es kann wahr sein, auch wenn das Auge bei seinem
             Anblick nicht tränt.)






3           Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.

3.0.1.     "Eine Zwiebel ist denkbar" heißt:
             Wir können uns ein Bild von ihr machen.
3.0.2.     Was denkbar ist, ist möglich.

3.1.       Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus.
3.1.1.    Das Zeichen, durch welches wir den Gedanken ausdrücken,
             ist das Satzzeichen und der Satz ist das Satzzeichen
             in seiner projektiven Beziehung zur Zwiebel.

3.2.       Der Satz ist artikuliert. (Er artikuliert die
             Sachlagen der Zwiebel.)
3.2.1.    Sachlagen kann man beschreiben, nicht benennen.
3.2.2.    Die im Satz verwendeten einfachen Zeichen
             heißen Namen.
3.2.2.1. Der Name vertritt im Satz eine Schale.
3.2.2.2. Der Name ist ein Urzeichen. Er ist durch keine
             Definition weiter zu zergliedern.
3.2.2.3. Jedes definierte Zeichen bezeichnet anhand von
             Zeichen, mit denen es definiert wurde.
             (Zwei Zeichen - ein Urzeichen
             & ein durch Urzeichen definiertes Zeichen -
             können nicht auf dieselbe Art & Weise bezeichnen.)

3.3.       Was in den Zeichen nicht zum Ausdruck kommt,
             zeigt ihre Anwendung. Was die Zeichen verschlucken,
             spuckt die Anwendung aus. (Alles kommt raus.)

3.4.       Jeder Teil des Satzes, der einen Sinn charakterisiert,
             ist ein Ausdruck (ein Symbol).
3.4.1.    Der Satz ist die Funktion der in ihm ausgedrückten
             Ausdrücke.

3.5.       Das Zeichen ist das sinnlich Wahrnehmbare am Symbol.








4           Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.

4.1.       Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache.

4.2.       Einen Satz verstehen heißt, wissen, was der Fall ist,
             wenn er stimmt.
4.2.1.    Der Satz zeigt, was er sagt, die Tautologie und
             die Kontradiktion, dass sie nichts sagen.
             Die Tautologie hat keine Wahrheitsbedingungen.
             Sie ist bedingungslos wahr.
             Die Kontradiktion hingegen ist unter keinen Umständen wahr.
4.2.1.1. Tautologie und Kontradiktion sind nicht Bilder der Zwiebel.
             Sie stellen keine mögliche Sachlage dar.
4.2.1.2. Sie sind aber nicht unsinnig. Sie gehören zum Symbolismus
             wie die "0" zum Symbolismus der Arithmetik.

4.3.       Die allgemeine Satzform ist eine Variable.


          



5.          Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze.

5.1.       Dass die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer
             Sätze folgt, ersehen wir aus der Struktur der Sätze.
5.1.1.    Die Sprache ist also der Struktur der Zwiebel nachempfunden.
5.1.2.    Die Sätze verhalten sich zueinander wie die Schalen
             in der Zwiebel.

5.2.       Das Wesen des Satzes angeben, heißt, das Wesen
             aller Beschreibungen angeben, also das Wesen
             der gesamten Zwiebel.
5.2.1.    Die Logik muss für sich selber sorgen. Sie ist ein
             Instrument zur Erfassung der Zwiebel, nicht die
             Zwiebel selbst.

5.3.        Die Wahrscheinlichkeit ist eine Verallgemeinerung.
              Nur in Ermangelung der Gewissheit gebrauchen
              wir sie.
5.3.1.     Man kann die Zwiebel durch vollkommen verallgemeinerte
              Sätze beschreiben, das heißt, ohne irgendeinen Namen
              von Vornherein einem bestimmten Gegenstand
              zuzuordnen. Um dann auf die gewöhnliche
              Ausdruckwseise zu kommen, muss man einfach
              nach einem Ausdruck: "Es gibt ein und nur ein x, welches..."
              sagen: "Und dieses x ist a."

5.4.       Die Zwiebel und das Leben sind eins.

5.5.       Ich bin meine Zwiebel (Mikrokosmos).

5.6.       Das Subjekt gehört nicht zur Zwiebel, sondern es ist
             ihre Grenze. (& nichts am Gesichtsfeld lässt darauf schließen,
             dass es von einem Auge gesehen wird.)







6           Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist notierbar.
             Statt ihrer Notation aber verwenden wir hier
             - der Einfachheit halber -
             die Abbildung der Zwiebel:








7           Wem beim Schneiden der Zwiebel nicht die Tränen kommen, 
             der muss davon schweigen.




                                                                            *****