von Elisabeth R. Hager
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, schreibt Ludwig Wittgenstein unter Punkt 5.6 seines 1921 erschienenen „Tractatus logico-philosophicus“. Auch wenn er später viele seiner Standpunkte revidieren sollte, können wir uns noch immer von der Wahrheit dieses Satzes überzeugen. Was außerhalb unserer Sprache liegt, liegt außerhalb unseres Denkens. Es existiert schlichtweg nicht. Erst, wenn wir uns über einen Sachverhalt austauschen können, wird er auch Teil unserer Welt. Etwas mit Worten ans Licht befördern, es sichtbar und somit denkbar machen, kommt einem Landgewinn gleich, einer Sichtbarmachung vormals unbekannter, nichtbeachteter oder unterdrückter Gedanken.
Dass wir einander vieles nicht sagen können, weil uns die Sprache dafür fehlt, ist tragisch. Was wir uns mit dem antun, was wir einander tagaus tagein – oft unbedarft – sagen, ist allerdings noch tragischer. Mit jedem Satz betreten wir politisches Terrain und das nicht erst, wenn wir beginnen, unsere Texte mit Gendersternchen und Unterstrichen zu würzen, um der Vielfalt der Geschlechter Rechnung zu tragen. Sprache war immer schon politisch. Jedes Wort ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Konventionen, unter denen es entstanden ist. Wer z.B. das Wort Gastarbeiter sagt, sagt damit nicht nur, dass jemand seine Heimat verlassen hat, um an einem anderen Ort zu leben und zu arbeiten. Wer Gastarbeiter sagt, sagt zugleich: Ihr Aufenthalt an einem Ort soll Provisorium bleiben. Sie sollen weder Wurzeln schlagen, noch Spuren hinterlassen. Und: Sie sollen gute Gäste sein. Wer Frauen und nicht binär lebende Menschen in Texten „mitmeint“, ohne sie im Schriftbild sichtbar zu machen, schließt sie realiter von der zur Sprache gekommenen Welt aus. Unzählige Studien belegen, dass die meisten Menschen noch immer an einen Mann denken, wenn sie lesen: „Der Arzt betrat das Zimmer.“
Unsere Sprache ist beredtes Zeichen der uns umgebenden Machtverhältnisse. Sie enthält sexistische und rassistische Elemente genauso wie viele andere Formen von Diskriminierung. Sie verengt unsere Perspektive auf das wenige, was der Norm entspricht und versperrt den Blick auf den Reichtum jenseits der Grenzen, in die wir uns beim Sprechen und Schreiben fügen.
Mein Schreibworkshop „Writing outside the Box“ ist eine Einladung an die Teilnehmer_innen, sich in die Grenzregionen der Sprache vorzuwagen. Diskriminierungssensibles Schreiben kann nur gelingen, wenn wir uns auch bewusst machen, welche diskriminierenden Aspekte unser tägliches Sprechen und Schreiben durchziehen. Wir werden unvoreingenommen und mitunter selbstkritisch das (eigene) Schreiben und Sprechen reflektieren und Texte analysieren. Wir werden uns mit „Framing“ beschäftigen, mit Intersektionalität, Heteronormativität und Eurozentrismus. Wir werden die engen Grenzen sprachlicher Normierung verlassen und Land gewinnen für eine Sprache der Vielfalt.
Dieser Text ist soeben erschienen in: bifeb aktuell 01/2019 zum Thema Resonanzen.