Freitag, 25. Oktober 2019

Lesung in Ulm, DI, 28.10.19


Im März war ich auf Lesereise & am gefühlt grausten Tag des Jahres in Ulm. Warum nicht das Münster anschauen, dachte ich & trat mit meinem kleinen blauen Koffer durch die Kirchentür. Ich löste ein Ticket & überlegte noch, wo ich den Koffer abgeben könnte, da war ich auch schon durchs Drehkreuz getreten & stand vor den Stufen zum Münster. Es war niemand zu sehen, also lud ich mir das Ding auf die Schulter & stapfte los. Nach wenigen Minuten Treppensteigen mit dem Koffer auf dem Arm war ich fix & fertig & hatte einen Drehwurm. Es war noch immer niemand zu sehen, also dachte ich: Fuck it. Ich stell das Ding kurz ab. Komme ja gleich wieder. Jetzt stieg ich die Stufen unbeschwert hinauf & freute mich an der Aussicht aus den Gucklöchern. Nach der Mittelstation ging es noch einmal weiter hinauf. Als ich kurz darauf am höchsten Punkt angekommen war, genoss ich einen sehr kurzen Moment lang die Leichtigkeit & Freude eines Menschen, der soeben einen Gipfel erstürmt hat. Dann aber hörte ich eine ganze Horde Touristen heraufkeuchen, die sich aufgeregt unterhielten. “Who should we call about the suitcase?” - “You really think it’s dangerous?” - “The fire-fighters?” - “No! Call the police!” Ich rief ihnen entgegen: “It’s mine! The suitcase is mine! There is no Bomb inside. Just a few books!” Ich hastete die Treppen hinunter, immer zwei, drei Stufen auf einmal, in Sorge um den Koffer, der bestimmt schon von Sprengmeistern und Spurensicherung umstellt war. Auf der Mittelstation angekommen, suchte ich den richtigen Abgang. Endlich fand ich die Treppen, die zu meinen Koffer führten, doch da stand: No exit! & aus dem dunklen Loch kamen ständig neue Gesichter heraus. Gesprächsthema in mehreren Sprachen: Mein Koffer... 

Aufgeregt rannte ich auf der Mittelstation herum bis ich an einer windgeschützten, holzvertäfelten Ecke eine Tür sah, daran ein Schild: TURMWART. Ich klopfte. Eine tiefe Stimme bat mich einzutreten. & wow. Ich stand in einem Raum aus einem weit zurückliegenden Jahrhundert. & der Mann mir gegenüber schien auch aus der Zeit gefallen. Er erinnerte an die frühen Alpinisten: wettergegerbt, braun gebrannt, ein Hemd, über das sich Hosenträger spannten, ein freundliches, leicht verwegen aussehendes, knorriges Gesicht. “Was kann ich für dich tun?” fragte er mit wachen Augen. Ich erzählte ihm mein Unglück mit dem Koffer. Er lachte & sagte: “Jetzt trinken wir erst einmal einen Kaffee. & dann kümmern wir uns um deinen Koffer.” Der Turmwart erzählte mir von kuriosen Einsätzen & seiner Leidenschaft für die Berge & fragte mich nach Lesungen, Gipfelerlebnissen & Selbstüberschätzung. Eine Stunde später brach ich mit seiner Erlaubnis die Regel & schlängelte mich die Treppen hinunter zu meinem Koffer. Der Koffer war zwar an eine andere Stelle gerollt, doch hatte er dort brav auf mich gewartet... 

Am DI (29.10.) lese ich um 19:00 Uhr, in der Kulturbuchhandlung Jastram in Ulm, aus “Fünf Tage im Mai”. Den Turmwart hab ich schon eingeladen. Falls ihr noch jemanden kennt in der Gegend, würd ich mich freuen, wenn ihr’s weitersagen könntet...