Mittwoch, 24. Oktober 2012

NOISY LÄND #3


Am anderen Ende der Welt steht mitten im Wald ein ungemachtes Bett.
Ich liege darin mit dir. Wir zählen die weißen Felle der Schafe, die Sterne, die Stunden der Zeit. 2x2qm Haut. Zwei Inseln unter vielen, auf dem großteils mit Wasser bedeckten Rücken der Welt.
Der Wind fährt durch das Blätterdach, wir frieren ein wenig im Schatten der Natur, die uns einhüllt wie ein kaltnasses Tuch. Meine Finger sind klamm. Es sind zehn an der Zahl wie die Deinen. Die Finger der Bäume sind viele Millionen & es werden ständig mehr. Denn wir sind müde geworden. Wir haben aufgehört, die Messer zu wetzen, sie zu fällen, das Feuer zu schüren, sie zu roden, & vor allem: sie mit fremden Zungen zu zerreden. Wir sind müde geworden. Wir dachten, wir hätten gewonnen. Wir haben uns hingelegt. Ein Bett im Wald.
Nun, in der Schwärze der Nacht, beleuchtet vom Mond, den Fellen der Schafe & dem weißen Linnen, das uns umhüllt - hauchdünne Patina der "Zivilisation" - rauschen die Blätter bedrohlicher als sonst. Sie wuchern in unseren Raum hinein. Schon rankt es unter die Decke, schon zieht es an meinem Fuß. Deine Lippen sind rauh, sie sind schön. Du öffnest sie langsam & verkündest betrübt den Sieg der unterworfenen Arten.

Die Pflanzen, sie ranken zurück, sie wachsen, sie sprießen, sie fesseln, sie wuchern, sie kriechen, sie klettern, sie blühen, sie welken & stehen wieder auf. Die Zukunft ist grün & sie wuchert & wildert & wächst jeden Tag ein kaum hörbares Quäntchen über Zäune und Gräben hinaus. Sie wuchert uns zu & hinein in des Nachbars Garten, in das blühende Leben der Anderen, auf dass sie ihr Schatten sei & dann ihr Tod. 

Man blickt anders auf die Menschen, wenn es wenige gibt.
Wenn sie in verschwindend geringer Zahl in ihren wenigen Häusern verschwinden, wenn es Abend wird, draußen auf dem Land. Ich blicke anders auf dich, wie du hier liegst unterm Blätterdach, auf deinen bemoosten Lippen liegt noch immer ein zärtliches Wort. Wie du mich mit einem Summen in den Schlaf wiegst - oder ist das der Wind? - Wie du dich langsam den Pflanzen ergibst. Wie deine Zellen sich lösen unter der hauchzarten Hand der Zellulose... Meine Daumen sind grün, jetzt auch meine Hände, ich spüre es durch die geschlossenen Augen. Meine Arme verhärten, verästeln, verharzen, die Haut verrindet. Ich verholze bis in die letzte Herzkammer hinein, der Schraubstock der Natur kennt kein Entrinnen. Ich höre dich stöhnen, jetzt stöhne ich selbst & dann knackt es nur noch leise zwischen uns. Wir sind ineinander verkeilt, deine moosigen Lippen auf meinen verkünden noch immer die Liebe.