Samstag, 8. Dezember 2012

Glühwürmchenmann

Ich sitze am Fenster. Ich esse mein Frühstück. Da seh ich wieder deinen Arm. Wie er sich in dem verglasten Ausschnitt bewegt, dem Rechteck, in dem sich dein Leben zeigt. Der Winter scheint Dich nicht zu kratzen, dein Arm ist kräftig, bleich, behaart. Ein rotes T-Shirt bedeckt ein Viertel seiner Länge. Du blätterst in einer Zeitung, die ich auch manchmal lese, wahrscheinlich bist du sogar Abbonent, so selbstverständlich und beherzt ist dieses Blättern, man könnte meinen, die Zeit & was in ihr geschieht gehöre dir.

Dein Arm ist ein winkeliges Stück Natur in einer von Mauern und Fenstern umstellten Welt. Manchmal vergesse ich das, neulich hast du mich daran erinnert. Du hast im Sitzen gebügelt an diesem deinem Tisch, an dem sich ein Teil deines Lebens abspielt, soweit ich sehen kann, die stilleren Momente. Du hast also gebügelt, ein Hemd, eins, das man anzieht, um etwas zu verdecken. Ich hatte geschlafen, ich saß nun am Fenster, ich aß mein Frühstück, ich bemerkte deinen Arm, ganz anders gewinkelt als bisher. Dann aber sah ich auch dich, wie du dem Arm hinterher meine Welt betratst. Dein schwarzbehaarter Kopf, dein rundes Gesicht mit den Pandaaugen. Und unsere Blicke: Ein Glühen, das sofort erlischt.

Du hast tatsächlich dasselbe gemacht wie die Glühwürmchen in der Höhle in dem Naturparadies, wo ich unlängst war: Sie sahen so wunderschön aus, sie spielten den Himmel auf Erden bei Nacht. Sie funkelten aus tausend kleinen Lampen. Sie wurden mir sofort das Liebste auf der Welt. Doch kaum schaute ich richtig hin, kaum versuchte ich, sie WIRKLICH zu erfassen, nicht nur absichtslos zu seh'n, gingen sie aus.

Dein Arm zog zurück, ruckartig, voller Entsetzen. Du verschwandest in der Dunkelheit, Lichtjahre von mir entfernt. Was hab ich dir getan? Können nicht zwei durchs selbe Fenster sehen, ohne dass daraus eine Schießscharte wird? Und warum ist dein Arm jetzt wieder da? Hast du deine Angst vergessen? Hast du sie besiegt? Hast du dich damals beim Bügeln im Dunklen verbrannt?