Donnerstag, 20. Dezember 2012

Das Reistagebuch - preview

Hier ein erstes Lebenszeichen meines nächsten Romanprojekts "Das Reistagebuch", an dem ich seit einiger Zeit sitze. Es spricht die weibliche Hauptfigur Melissa... : 

 ....Am Morgen schlich ich unter den müden Augen der Hunde über den Platz in Richtung der Oase. Alles schlief. Sogar die Wohnwagen der Deutschen lagen verschlossen auf dem Kies. Es hatte nicht geregnet. Seit drei Jahren nicht. An eine vertrocknete Palme gelehnt, sie sah aus wie ein an ein vom Wind zerzauster Schirm, lehnte ein schwarz-grünes Mountainbike. Fabriksneu glänzte der Lack zu mir her, sauber, fremd an einem Ort, an dem alles, alles, alles vom Sand der Wüste verstaubt. Ich nahm das Rad und setzte mich darauf, wollte schauen, ob es trägt und auch wohin. Es musste Rachid gehören. Ich setzte mich darauf, fuhr hinaus durch das Tor über den Kies auf die staubige Straße in den flirrenden Himmel hinein. Zu beiden Seiten ließ ich die Stadt hinter mir, das Braun ihrer Häuser, das Braun. Hier werden Häuser noch aus Erde gemacht, geerdete Häuser aus Lehm. In einer Früh, die schon ganz heiß war, schlug ich eine Schneise durch den Tag, durch die Stunden und Minuten hin zum Jetzt. Ich fuhr durch den Dreck der Jahrtausende über eine plattgewalzte Piste. Ringsum war Stein, schwarzer Stein der Wüste. In der Ferne ein Fuhrwerk. Ich überholte zwei Kinder, die auf einem Eselkarren fuhren. Sie taten nichts lieber als Draufschlagen auf Eselrücken zum Erbrechen und ihre kleinen Körper wippten bei jedem Schlag vor und zurück. Auch ich schlug hohe Wellen, doch wurde ich nicht nass, denn es hatte seit Jahren nicht geregnet. Ich wurde schneller. Ich raste auf dem Fahrrad um die Welt. Auf dem Rollfeld der verwüsteten Zeit zog ich meine Bahn, fuhr hinaus, durch die Steine, eine Stunde, eine zweite, immer fort. Dann sah ich schon das Safrangelb der Wüste und die Kamele mit den Treibern in der Ferne. Sie saßen müde in der Hitze, es war immer noch viel zu früh. Niemand sah mich, niemand wusste, was ich tat. Auch für mich war alles unklar. Auch für mich war das einzig sichere die Haut, meine salzige Haut, die brannte an den unbedeckten Stellen. Doch was scherte mich die Sonne, was die Schwerkraft? Ich hob als Flugzeug ab und blieb doch auf der Erde ein Mensch. Die Sonne juckte wie ein Schiefer, der sich tief ins Fleisch hinein gräbt. Ich habe also Rachids Fahrrad genommen. Ich habe mich auf den Sattel gesetzt und bin losgefahren aus dem Dorf hinein in die Wüste. Es hat gedauert. Ich trage keinen Schleier. Ihre Blicke sagen, dass sie mich haben wollen, das blonde Mädchen mit dem verbrannten Kopf. Lange hat es gedauert, bis ich gemerkt hab, dass der Durst immer mitfährt und die Hitze. Und dass sie mich alle haben können, wenn sie nur wollen. Ihr alle könnt mich haben. Ich fuhr und fuhr und fuhr, ich drehte die Räder in den Vormittag hinein. Alles auf Krawall gebürstet, auf high noon. Ich fuhr durch den Staub der Straße ins Nichts. Die Sehnsucht nach Freiheit, nach Liebe, nach Licht, das war kein abstrakter Gedanke. Ich konnte sie spüren auf der salzigen Haut, die schon brannte, und im wehenden Haar. Ich fuhr herum, ich fahre noch immer, auch jetzt noch, ich fahre herum. Ich presche durch Hitze, durch Kälte, durch Glut. Ich sitze im Verließ der Gedanken und forme mit den Händen zarte Wölkchen... Ich versuche zu zaubern, doch ich schaffe es nicht. Bitte Regen, denn mir ist so heiß! Ich bin ein loses Bündel aus Gedanken in einer welkenden Hülle aus Fleisch. Und es graut mir vorm Gedanken, dass das Fleisch so viel will.... Erst fahre ich wie eine Verrückte über die Piste, dann bin ich plötzlich selbst eine Wüste und der Durst legt mich trocken, legt mich lahm. Ich bleibe stehen und steige vom Rad. Meine Kehle ächzt. Ich bin ein abgebrochenes Stück Kindheit auf dem Dörrgerät der Wüste. Ich habe nie etwas gesehen, nur den lichten, weißen Tag. Ich bin ein gleißend Licht. Ich habe Erinnerungen an die Erschaffung der Welt. Ich bin Licht und weiß und weit, doch meine Kehle ist trocken. Ich versiege in der Wüste meiner selbst. Dann höre ich wie ein Auto hält. Ein riesiger Jeep muss das sein. Vier haarige Füße in Sandalen, ein dunkelblauer Nagel. Ihre knorzigen Füße aus Rinde. Ihre Stimmen kommen näher, ihre Füße. Ich liege am Boden. Sie tragen mich ins Auto und wir fahren eine kurvige Straße entlang. Eine dunkle Hand auf der Brust, auf dem Bauch, sie lässt mich nicht schlafen. Am Abend dann im Sofatal einer abgedunklen Kammer. Neben mir ein Kübel, sein stinkiger Inhalt riecht nach mir. Rachids Stimme hinter der Tür und die uralte Stimme einer Frau. Rachid bringt mir Tee, doch mein Mund ist verwüstet, so trocken, ich kann gar nicht schlucken so sehr. Dann fahren wir zurück zur Oase, zurück zum Campingplatz. Das Rad haben wir auf dem Rollfeld vergessen. 

Ich schlage das Notizbuch zu, ziehe meine Strickjacke über und trete in Hausschuhen auf den Gang hinaus. Der Boden ist in Bewegung. Es schwankt unter mir und in mir schwankt es auch. Ich lege den Weg bis zum Bug des Schiffes in etwa drei Minuten zurück. Ich finde am Bug des Schiffes die Bar und suche den Blickkontakt zum Kellner.