Dienstag, 22. September 2015

Eine Mutter für die Schrauben im System?




Oder - Die Quadratur des schwangeren Bauches
                                           Von Elisabeth R. Hager

Der Text ist soeben erschienen in
  DUM 75 |KINDER - Wann geht's los?


 

   



Lange Jahre verband ich mit dem Wort MUTTER vor allem eine coole Berliner Rockband, nun aber kommt alles anders: Das Fleisch, aus dem ich gemacht bin, ist im Begriff, sich zu reproduzieren. In wenigen Wochen werde ich selbst Mutter sein. Dieser Gedanke löst seit Monaten alle nur möglichen Gefühle in mir aus. Nicht nur, aber auch und besonders: die Schönen.





Jeden meiner Schritte begleitet derzeit neben der Kurzatmigkeit, dem Gefühl zwei Tonnen schwer zu sein und regelmäßig über mich hereinbrechenden Ausbrüchen von Vorfreude auf den Menschen, der in meinem sich rundenden Bauch heranreift, auch immer wieder eine leise Panik. Ich höre von Frauen, die zuerst ein Leben hatten und dann ein Kind. Das unangenehme Gefühl, das solche Worte in mir auslösen, vermag auch der Blick auf meine coolen Mutter-Freundinnen nicht zu lindern: Der überall vermarktete Drang zur Selbstverwirklichung, die damit einhergehende Berufsjugendlichkeit und meine – gleichwohl selbstgewählte – prekäre Beschäftigung an den Rändern des Literaturbetriebs vertragen sich so scheint's schlecht mit der tradierten Idee von Mutterschaft. Doch stimmt das wirklich? Und worin bestehen die Erwartungen, die ich nicht bereit bin zu erfüllen?

Als erstes bemerke ich Folgendes: Obwohl ich in einer Welt lebe, in der jeder Zentimeter des weiblichen Körpers harter Kritik unterworfen ist, einer Welt, deren größter Fressfeind der Kontrollverlust zu sein scheint, wurde mir seit der ersten ausgebliebenen Regel von allen Seiten erklärt, dass ich die Veränderungen, die meinem Körper in den nächsten Monaten bevorstünden, von nun an mit fröhlicher Gelassenheit zu nehmen hätte. Von einem Tag auf den nächsten sollte aus einer egozentrischen Berufsjugendlichen österreich-berlinischer Prägung eine windelwechselnde Supermutti werden, die jedes zusätzliche Kilo, jeden Schwangerschaftsstreifen, jede physische Unpässlichkeit mit Handkuss in Kauf nimmt, so lange das Kind nur gesund ist und munter.

Ich habe mich sehr gefreut, als auf dem Schwangerschaftstest auch der zweite blaue Streifen zu sehen war. Angst und Bange wurde mir trotzdem. Es hat Monate gedauert, bis ich den Fokus von mir selbst auch nur ansatzweise in Richtung Nachwuchs verlagern konnte und ich glaube so geht es den meisten. Warum nicht beginnen, das zu akzeptieren? Ich fordere auch für diese ambivalenten Gefühle einen gesellschaftlichen Platz.

Zur Verunsicherung über den sich ohne mein Zutun verändernden Körper gesellte sich in Windeseile das Ratschlaggeratter der Freund_innen, Muttermündern aller Länder, lange Listen von Do's und Don'ts, eine endlose Flut an Webweisheiten, ausgewähltes Fachbuchwissen, eine Ringmappe von der Krankenkasse und die Erkenntnis, dass in unserer Gesellschaft unter einer dünnen Patina von Freiheit, Toleranz und Ignoranz noch immer erschreckend genaue (wenn auch teils völlig gegenläufige) Vorstellungen davon herrschen, was man als Mutter zu tun und zu lassen hat. Von allen Seiten prasseln derzeit weise und weniger weise Glaubenssätze und Gebote auf mich ein. So soll ich mich so gut es geht schonen, doch gleichzeitig nicht zu sehr gehen lassen. Ich soll mich bestens über alle Risiken informieren, aber die Sache auch völlig entspannt angehen. Ich soll keine Helikoptermutter werden, aber bitte auch keine herumstromernden free range kids produzieren. Ich soll auf meinen Körper hören, aber bloß nicht mehr zunehmen als irgendwie nötig. Ich soll soll soll bis ich mir, an die Ränder der Sollbruchstellen gedrängt, nur noch die Ohren zuhalten kann. Wie soll ich gleichzeitig Sport machen und mich ausruhen, essen und nicht essen, mich en Detail mit Saugglocke, Zange oder Kaiserschnitt vertraut machen und gleichzeitig total cool dabei sein? Wie soll ich all die hunderttausend notwendigen Dinge erledigen, wenn ich mir keinen Stress machen darf? Wie soll ich glücklich sein? Nichts als glücklich, 24/7, wenn jedes abweichende Gefühl als Verrat an meinem künftigen Baby gilt? Ein erstes Fazit: Man wird nicht als Mutter geboren, man wird dazu gemacht, zur Mutter für die Schrauben im System.

Neben dem Zwang zum durchgehenden Mutter-In-Spe-Glück, spüre ich auch stärker denn je einen Zwang zum Konsum. Eine gute Mutter sein bedeutet heute auch: Eine gute Konsumentin zu sein. Webforen und Ratgeber sind voll mit Werbung für Dinge, die scheint's lebensnotwendig sind, für das Wohlergehen eines jeden Babys. Eine Rabenmutter, die denkt, dass sie statt eines sonderangefertigten Stillkissens einen alten Polster nehmen kann und statt trendiger Umstandsmode Flohmarktware in größeren Größen! Babybadewannen, die wie Putzkübel aussehen, nur zehn Mal so viel kosten, mitwachsende Wickelkommoden, Stubenwagen in Rennwagenform, dieser und jener Aufsatz für dieses und jenes Problem, und hier noch ein i-Phone-Halter für den Hipster-Kinderwagen ... Die Liste ist leider endlos. Der Drang zur Selbstoptimierung macht vor dem Ausnahmezustand Schwangerschaft nicht Halt. Ganz im Gegenteil befeuert er ihn. Und wer nicht ständig zum Yoga rennt, wer nicht auf seine Ernährung achtet, wer nicht genug Gemüse isst, sondern irgendwelchen Fraß, ist selber selber selber schuld, schließlich wurde sie gewarnt.

Rosa Tüllkleider tragen, Prinzessinnen stalken, Katzenvideos klicken und andere zuckersüße Zeitvertreibe waren meine Sache nie. Und doch fühlte ich mich immer schon – um mit Nina Hagen zu sprechen – unbeschreiblich weiblich. Mittlerweile gucke ich tatsächlich ab und zu Katzenvideos und ich habe auch ein paar rosa Klamotten im Schrank, auch wenn ich sie lieber mit schwarzen Lederstiefeln kombiniere, als mit anderen rosa Klamotten. Aber: Ich bin noch immer nicht gern in Gruppen unterwegs, in denen ausschließlich über Kinderkrankheiten oder Regelbeschwerden gesprochen wird. Ich will bald nach der Geburt wieder schreiben, weil das neben Beruf auch Berufung ist. Und ich weiß noch nicht, ob, und wenn ja wie lange, ich mein Baby stillen will. Trotzdem werde ich, da bin ich mir sicher, eine gute Mutter sein. Dafür aber werden keine Sonderanfertigungen des Marktes nötig sein, keine full time-Begluckung, keine nur der Pflicht gehorchenden Stillorgien und Selbstaufgabe schon gar nicht, sondern vor allem die Liebe zum Kind und das Wissen, dass ich selber auch glücklich sein darf.

Als wäre das alles nicht kompliziert genug, weht derzeit auch aus der Gegenrichtung ein strenger Wind. Im Internet wird hitzig über den hashtag „regretting motherhood“ diskutiert, ausgelöst von der Studie einer israelischen Soziologin, die 23 Mütter befragt hat, ob sie es vielleicht bedauern, Mütter geworden zu sein. Und – oh Wunder – 23 Mal gab es darauf ein kurzes „Ja“.
Wenn ich nun die Kommentare dazu lese, wenn ich mitbekomme wie diese Frauen gefeiert werden für ihre „Ehrlichkeit“, frage ich mich tatsächlich, in welche Welt mein Kind da hineingeboren wird. Bedauert nicht jeder Mensch hin und wieder eine getroffene Entscheidung? Was bitte ist revolutionär daran, das eigene Kind nicht durchgehend und 24/7 als Geschenk des Himmels zu sehen? Besteht das Revolutionäre nicht vielmehr darin, dass in unserer verkünstelten Welt Ehrlichkeit schon als Befreiungsschlag gilt? Dass zur Heldin wird, wer des Kaisers neue Kleider als das entlarvt, was sie sind: Nichts?


Ich bin keine besonders mütterliche Frau, doch freu' ich mich sehr auf unser Kind. Und wenn ich in den nächsten Monaten und Jahren etwas weniger zum Schreiben kommen werde, zum Reisen und zur Selbstverwirklichung, bin ich doch dafür bereit: Für das Lachen, das Weinen, die Fröhlichkeit und Unzufriedenheit dieses neuen Menschen auf der Welt. Und ich hoffe sehr, dass ich trotz des tosenden gesellschaftlichen Rauschens, trotz der ständigen Rufe der Marktschreier und Normierungs-Apologeten, trotz hundertzwanzig Facebook-Einladungen pro Tag, immer wieder die Ruhe finden werde, zu hören, was das Kind zu all dem sagt. Ich denke, es dürfte sich lohnen.


Dieser Text ist soeben in DUM 75 | Kinder - Wann geht's los? erschienen, geschrieben habe ich ihn wenige Wochen vor der Geburt meiner Tochter Alma.