Oder - Die Quadratur des schwangeren Bauches
Von Elisabeth R. Hager
Der Text ist soeben erschienen in DUM 75 |KINDER - Wann geht's los? |
Lange Jahre verband ich mit dem Wort MUTTER vor allem eine coole Berliner Rockband, nun aber kommt alles anders: Das Fleisch, aus dem ich gemacht bin, ist im Begriff, sich zu reproduzieren. In wenigen Wochen werde ich selbst Mutter sein. Dieser Gedanke löst seit Monaten alle nur möglichen Gefühle in mir aus. Nicht nur, aber auch und besonders: die Schönen.
Jeden
meiner Schritte begleitet derzeit neben der Kurzatmigkeit, dem Gefühl
zwei Tonnen schwer zu sein und regelmäßig über mich
hereinbrechenden Ausbrüchen von Vorfreude auf den Menschen, der in
meinem sich rundenden Bauch heranreift, auch immer wieder eine leise
Panik. Ich höre von Frauen, die zuerst ein Leben hatten und dann ein
Kind. Das unangenehme Gefühl, das solche Worte in mir auslösen,
vermag auch der Blick auf meine coolen Mutter-Freundinnen nicht zu
lindern: Der überall vermarktete Drang zur Selbstverwirklichung, die
damit einhergehende Berufsjugendlichkeit und meine – gleichwohl
selbstgewählte – prekäre Beschäftigung an den Rändern des
Literaturbetriebs vertragen sich so scheint's schlecht mit der
tradierten Idee von Mutterschaft. Doch stimmt das wirklich? Und worin
bestehen die Erwartungen, die ich nicht bereit bin zu erfüllen?
Als
erstes bemerke ich Folgendes: Obwohl ich in einer Welt lebe, in der
jeder Zentimeter des weiblichen Körpers harter Kritik unterworfen
ist, einer Welt, deren größter Fressfeind der Kontrollverlust zu
sein scheint, wurde mir seit der ersten ausgebliebenen Regel von
allen Seiten erklärt, dass ich die Veränderungen, die meinem Körper
in den nächsten Monaten bevorstünden, von nun an mit fröhlicher
Gelassenheit zu nehmen hätte. Von einem Tag auf den nächsten sollte
aus einer egozentrischen Berufsjugendlichen österreich-berlinischer
Prägung eine windelwechselnde Supermutti werden, die jedes
zusätzliche Kilo, jeden Schwangerschaftsstreifen, jede physische
Unpässlichkeit mit Handkuss in Kauf nimmt, so lange das Kind nur
gesund ist und munter.
Ich
habe mich sehr gefreut, als auf dem Schwangerschaftstest auch der
zweite blaue Streifen zu sehen war. Angst und Bange wurde mir
trotzdem. Es hat Monate gedauert, bis ich den Fokus von mir selbst
auch nur ansatzweise in Richtung Nachwuchs verlagern konnte und ich
glaube so geht es den meisten. Warum nicht beginnen, das zu
akzeptieren? Ich fordere auch für diese ambivalenten Gefühle einen
gesellschaftlichen Platz.
Zur
Verunsicherung über den sich ohne mein Zutun verändernden Körper
gesellte sich in Windeseile das Ratschlaggeratter der Freund_innen,
Muttermündern aller Länder, lange Listen von Do's und Don'ts, eine
endlose Flut an Webweisheiten, ausgewähltes Fachbuchwissen, eine
Ringmappe von der Krankenkasse und die Erkenntnis, dass in unserer
Gesellschaft unter einer dünnen Patina von Freiheit, Toleranz und
Ignoranz noch immer erschreckend genaue (wenn auch teils völlig
gegenläufige) Vorstellungen davon herrschen, was man als Mutter zu
tun und zu lassen hat. Von allen Seiten prasseln derzeit weise und
weniger weise Glaubenssätze und Gebote auf mich ein. So soll ich
mich so gut es geht schonen, doch gleichzeitig nicht zu sehr gehen
lassen. Ich soll mich bestens über alle Risiken informieren, aber
die Sache auch völlig entspannt angehen. Ich soll keine
Helikoptermutter werden, aber bitte auch keine herumstromernden free
range kids produzieren.
Ich soll auf meinen Körper hören, aber bloß nicht mehr zunehmen
als irgendwie nötig. Ich soll
soll soll
bis ich mir, an die Ränder der Sollbruchstellen gedrängt, nur noch
die Ohren zuhalten kann. Wie soll ich gleichzeitig Sport machen und
mich ausruhen, essen und nicht essen, mich en
Detail
mit Saugglocke, Zange oder Kaiserschnitt vertraut machen und
gleichzeitig total cool dabei sein? Wie soll ich all die
hunderttausend notwendigen Dinge erledigen, wenn ich mir keinen
Stress machen darf? Wie soll ich glücklich sein? Nichts als
glücklich, 24/7, wenn jedes abweichende Gefühl als Verrat an meinem
künftigen Baby gilt? Ein erstes Fazit: Man wird nicht als Mutter
geboren, man wird dazu gemacht, zur Mutter für die Schrauben im
System.
Neben
dem Zwang zum durchgehenden Mutter-In-Spe-Glück, spüre ich auch
stärker denn je einen Zwang zum Konsum. Eine gute Mutter sein
bedeutet heute auch: Eine gute Konsumentin zu sein. Webforen und
Ratgeber sind voll mit Werbung für Dinge, die scheint's
lebensnotwendig
sind, für das Wohlergehen eines jeden Babys. Eine Rabenmutter, die
denkt, dass sie statt eines sonderangefertigten Stillkissens einen
alten Polster nehmen kann und statt trendiger Umstandsmode
Flohmarktware in größeren Größen! Babybadewannen, die wie
Putzkübel aussehen, nur zehn Mal so viel kosten, mitwachsende
Wickelkommoden, Stubenwagen in Rennwagenform, dieser und jener
Aufsatz für dieses und jenes Problem, und hier noch ein
i-Phone-Halter für den Hipster-Kinderwagen ... Die Liste ist leider
endlos. Der Drang zur Selbstoptimierung macht vor dem Ausnahmezustand
Schwangerschaft nicht Halt. Ganz im Gegenteil befeuert er ihn. Und
wer nicht ständig zum Yoga rennt, wer nicht auf seine Ernährung
achtet, wer nicht genug Gemüse isst, sondern irgendwelchen Fraß,
ist selber selber selber schuld, schließlich wurde sie gewarnt.
Rosa
Tüllkleider tragen, Prinzessinnen stalken, Katzenvideos klicken und
andere zuckersüße Zeitvertreibe waren meine Sache nie. Und doch
fühlte ich mich immer schon – um mit Nina Hagen zu sprechen –
unbeschreiblich
weiblich.
Mittlerweile gucke ich tatsächlich ab und zu Katzenvideos und ich
habe auch ein paar rosa Klamotten im Schrank, auch wenn ich sie
lieber mit schwarzen Lederstiefeln kombiniere, als mit anderen rosa
Klamotten. Aber: Ich bin noch immer nicht gern in Gruppen unterwegs,
in denen ausschließlich über Kinderkrankheiten oder
Regelbeschwerden gesprochen wird. Ich will bald nach der Geburt
wieder schreiben, weil das neben Beruf auch Berufung ist. Und ich
weiß noch nicht, ob, und wenn ja wie lange, ich mein Baby stillen
will. Trotzdem werde ich, da bin ich mir sicher, eine gute Mutter
sein. Dafür aber werden keine Sonderanfertigungen des Marktes nötig
sein, keine full
time-Begluckung,
keine nur der Pflicht gehorchenden Stillorgien und Selbstaufgabe
schon gar nicht, sondern vor allem die Liebe zum Kind und das Wissen,
dass ich selber auch glücklich sein darf.
Als
wäre das alles nicht kompliziert genug, weht derzeit auch aus der
Gegenrichtung ein strenger Wind. Im Internet wird hitzig über den
hashtag „regretting motherhood“ diskutiert, ausgelöst von der
Studie einer israelischen Soziologin, die 23 Mütter befragt hat, ob
sie es vielleicht bedauern, Mütter geworden zu sein. Und – oh
Wunder – 23 Mal gab es darauf ein kurzes „Ja“.
Wenn
ich nun die Kommentare dazu lese, wenn ich mitbekomme wie diese
Frauen gefeiert
werden für ihre „Ehrlichkeit“, frage ich mich tatsächlich, in
welche Welt mein Kind da hineingeboren wird. Bedauert nicht jeder
Mensch hin und wieder eine getroffene Entscheidung? Was bitte ist
revolutionär daran, das eigene Kind nicht durchgehend und 24/7 als
Geschenk des Himmels zu sehen? Besteht das Revolutionäre
nicht vielmehr darin, dass in unserer verkünstelten Welt
Ehrlichkeit schon als Befreiungsschlag gilt? Dass zur Heldin wird,
wer des Kaisers neue Kleider als das entlarvt, was sie sind: Nichts?
Ich
bin keine besonders mütterliche Frau, doch freu' ich mich sehr auf
unser Kind. Und wenn ich in den nächsten Monaten und Jahren etwas
weniger zum Schreiben kommen werde, zum Reisen und zur
Selbstverwirklichung, bin ich doch dafür bereit: Für das Lachen,
das Weinen, die Fröhlichkeit und Unzufriedenheit dieses neuen
Menschen auf der Welt. Und ich hoffe sehr, dass ich trotz des
tosenden gesellschaftlichen Rauschens, trotz der ständigen Rufe der
Marktschreier und Normierungs-Apologeten, trotz hundertzwanzig
Facebook-Einladungen pro Tag, immer wieder die Ruhe finden werde, zu
hören, was das
Kind zu all dem sagt.
Ich denke, es dürfte sich lohnen.
Dieser Text ist soeben in DUM 75 | Kinder - Wann geht's los? erschienen, geschrieben habe ich ihn wenige Wochen vor der Geburt meiner Tochter Alma.